Von Kampfsport und Menschenfischern...

Morgen beginnt für unseren Junior der "Ernst des Lebens": der erste richtige Schultag. Er freut sich sehr und Dank der Betreuung der Erstklässler in der letzten Woche im Schülerhort kennt er schon einige andere Jungs. Ich bin stolz, wenn er mir erzählt, wie unfair er es findet, dass sein neuer Freund wegen seiner langen Haare von Älteren gehänselt wird. Leider wurde ihm ebenfalls schon Prügel durch einen Drittklässler angedroht. Erschreckend...

Ich habe ihm erklärt, dass die Einstellung "Jungs = kurze Haare, Mädchen = lange Haare" ziemlich veraltet ist. Heutzutage darf jeder die Haare so tragen wie er oder sie will. Hauptsache gewaschen. Zum Glück haben wir schon vor längerer Zeit beschlossen, dass unser Junge ebenso Kampfsport lernen soll wie mein Mann und ich. Einfach zur Sicherheit, zum Stärken des Selbstbewusstseins. Oft reicht es schon sich selbstbewusst hinzustellen und zu sagen: "Achtung. Bevor Du mich schlägst: ich bin im Jiu-Jitsu/Boxen/Karate-Kurs."

 

Gestern war die Einschulungsfeier. Zu Beginn stand der Gottesdienst in der ökumenischen Dorfkirche auf dem Programm. Schon bei den ersten Takten des Organisten hätte ich mir gerne Ohropax in die Ohren gestopft. Da hätte ich lieber acapella gesungen, als mit dieser schrägen, taktlosen Begleitung.

Den Vogel schoss allerdings die Pfarrerin ab: in der Lesung ging es um Jesus, der am See Genezareth entlang geht und unter anderem zwei junge Fischer anspricht, die mit ihrem Vater zusammen Netze flicken. Jesus überredet sie als "Menschenfischer" ihm zu folgen.

Die Pfarrerin winkte nacheinander fünf Kinder zu sich nach vorne, lobte sie für ihren Mut ihrer Einladung gefolgt zu sein und gab ihnen eine kleine Süßigkeit.

 

Ich werde noch eine Nachricht an diese Pfarrerin schreiben: Danke, dass Sie uns nach der Einschulungsfeier zu einem ausführlichen Diskussionsthema am heimischen Küchentisch verholfen haben. Denn selbst unser sechsjähriger Sohn hat bemerkt: Da war einiges seltsam mit dieser Geschichte. Danke, liebe Pfarrerin, dass Sie in diesen 10 Minuten jahrelange Vorarbeit der Eltern und Erzieher mit Füßen getreten haben. Schließlich predigt jeder (ja, ein bewusstes Wortspiel!): "Geh nicht mit Fremden, auch wenn mit Süßigkeiten gelockt wird!"

Dass der alte Vater mit der Arbeit für drei Personen alleine sitzen gelassen wird, empört jeden, der etwas von Familienzusammenhalt und Gemeinschaft hält, ebenfalls.

Die Menschheitsgeschichte ist voll von "Menschenfischern", Sektenpredigern, Vergewaltigern und "Führern", die mit eben solchen Worten, wie Jesus sie (laut dem Matthäus-Evangelium) anscheinend genutzt hat, ihre Schäfchen zu sich gelockt haben.

Unser Sohn war felsenfest davon überzeugt: er wäre nicht vor gegangen. Ich bezweifle das zwar, denn der Gruppenzwang und die Aufregung des Einschulungstag hätten ihn sicher der Einladung folgen lassen. Doch wäre dies nicht wahrer Mut gewesen? Nicht wie die Lemminge ohne nachzudenken dem Aufruf zu folgen, sondern hinzustehen und zu sagen "NEIN! Ich gehe nicht zu Ihnen. Ich kenne Sie nicht. Und mit Süßigkeiten brauchen Sie mich auch nicht zu locken!"

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